Narration, Zeitlichkeiten und epistemische Verantwortung

“It seems to be easier for us today to imagine the
thoroughgoing deterioration of the earth and of nature
than the breakdown of late capitalism;
perhaps that is due to some weakness in our imagination.”

Fredric Jameson, The Seeds of Time

Zukünfte – als Möglichkeitsräume immer im Plural gedacht – entziehen sich dem Monopol einer finalistischen Teleologie. 

Eine Zukunft ist nie abgeschlossen, sondern stets nur als Horizont vorstellbar: ein Projektionsfeld, das sich mit seiner Einlösung auflöst und augenblicklich einer neuen Zukunftserzählung weicht. Sie ist kontingent, bedingt durch kulturelle Imaginationen, strukturelle Möglichkeitsräume und technologische wie soziale Dispositive.

Diese Verschiebung führt zur erkenntnistheoretischen Einsicht, dass auch Verantwortung für Zukünfte nicht mehr eindeutig linear begründet werden kann. Subjektpositionen oszillieren zwischen dem Anspruch, Zukünfte mitzugestalten, und dem Gefühl der Machtlosigkeit angesichts globaler Krisen, geopolitischer Machtkonzentrationen und ökonomischer Verwerfungen. In diesem Spannungsverhältnis stellt sich nicht nur die Frage, wer Zukünfte denkt, sondern wem diese Denkprozesse zugänglich sind – und wer davon strukturell ausgeschlossen bleibt.

Im Zentrum steht damit die Kritik an hegemonialen Zukunftsnarrativen, deren Autor*innen, Adressat*innen und implizite Wertlogiken es kritisch zu analysieren gilt. In einer Welt, die nicht mehr nur technisch verwaltet, sondern durch autoritäre Begehrensstrukturen konfiguriert ist, sind Zukunftserzählungen keine neutralen Szenarien, sondern ideologisch aufgeladene Konstruktionen mit realen Konsequenzen. 

“It matters what matters we use to think other matters with;
it matters what stories we tell to tell other stories with;
it matters what knots knot knots, what thoughts think thoughts,
what descriptions describe descriptions, what ties tie ties.
It matters what stories make worlds, what worlds make stories.” 

Donna J. Haraway, 

Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene

Zukünfte sind nicht einfach imaginär – sie machen Welt.

Daher ist jede Zukunft immer auch eine gegenwärtige Konstruktion – eine narrative Praxis, ein Entwurf unter Bedingungen. Es stellt sich die Frage: Welche Zukünfte stellen sich unter unserer Beobachtung ein? Welche semantisch aufgeladenen Horizonte lassen sich unter den epistemischen Bedingungen unserer Gegenwart überhaupt denken? Welche werden sichtbar – und welche bleiben potenziell unvorstellbar?

Vor diesem Hintergrund versteht sich Zukunft als ein primär narrativer Raum, der von kulturellen, ästhetischen und diskursiven Praktiken hervorgebracht wird. In der Beschäftigung mit diesem Raum formuliert sich eine ethisch-politische Herausforderung: Wie umgehen mit dem Privileg, nicht ausschließlich auf die Dringlichkeit der Gegenwart reagieren zu müssen, sondern sich auch reflexiv, spekulativ und experimentell mit Zukünften auseinandersetzen zu können?

Ausgehend von einem nicht-linearen Verständnis von Zeit lässt sich der Begriff der Zukunft nicht als eindimensionale Fortschrittsbewegung begreifen, sondern vielmehr als rhizomatisches Gefüge, in dem sich temporale Ebenen überlagern und gegenseitig konstituieren. Es handelt sich um eine komplexe Superposition aus möglichen Gegenwarten und situativen Lesarten der Vergangenheit. Zeit erscheint hier nicht als Vektor, sondern als relationale Topologie aus Differenzen.

Trauma, Verlust und systemische Gewalt kehren wieder – nicht als Wiederholung des Gleichen, sondern als transponierte Konfigurationen im Neuen. Die scheinbar distinkten Begriffe von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lösen sich auf. Temporale Kategorien beginnen zu fließen, zu verschwimmen, zu kollabieren in das, was man als „dauernde Gegenwart“ bezeichnen könnte – ein Zustand permanenter, unmittelbarer Reaktualisierung.

Im Rahmen des Seminars wurden kollektive Narrative zu Zukünften erarbeitet, die nicht allein auf Sprache oder visuelle Repräsentation setzen. Bestehende sensorische Gewichtungen werden kritisch hinterfragt: Die Dominanz des Visuellen, des Lesbaren, des Rationalisierbaren wird durchbrochen zugunsten taktiler, akustischer oder synästhetischer Zugänge. 

Die Empfindung von Sorge erzeugt eine Gleichzeitigkeit von Vergangen Beziehungen, Gegenwärtigem und Zuküntigem. Lässt sich die Nähe zu einer geliebten Person bewahren und welchen Einfluss haben unsere Projektionen auf das vorgestellte?

Ansätze Vorsprachlicher Erfahrungsräume, in denen Zukunft nicht beschrieben, sondern gespürt wird, dienen als Transportmittel um elementare Konzepte wie Verantwortung und Fürsorge in eine  ungewisse Zukunft zu projizieren und so zu bewahren.

Wenn Historien – jene, die wir mit „Nie wieder“ bannen wollten – ihre Wiederholung andeuten, können wir auf das erleben und die Erzählungen vergangener Generationen zurückgreifen um eine Form von bewusstem, transgenerationalen Widerstand zu bilden. Lassen sich auch innerhalb Familiärer Biografien verbündete finden?

Andere Projekte bedienen sich der Echolokation, des Klangraums oder spekulativer Interfaces, um Zukunft nicht nur darzustellen, sondern sie im Wahrnehmungsraum körperlich zu verankern und performativ zu erschließen. Um Mithilfe dieser, direkten Einfluss auf Mögliche Zukünfte zunehmen.

Zentral ist hier auch die Frage nach dem Verhältnis von Körperlichkeit und Umwelt: Welche Rolle spielt der menschliche Körper – ein nur scheinbar biologisches Relikt inmitten technologischer Disruptionen und transhumanistischer Fieberträume von Tech-Oligarchen. Angesichts angenommener, radikaler planetarer Veränderungen bilden sich Wesen und Körper die sich an diese Bedingungen anpassen könnten.

Gemeinsam loten Performer*innen diese Grenzziehungen aus: Die künstliche Trennung von Natur– und Menschheitsgeschichte, von „Mensch“ und „Umwelt“ wird dekonstruiert zugunsten eines relationalen Denkens in ökologischen Netzwerken, in denen Menschsein nicht hierarchisch über andere Lebensformen gestellt ist, sondern als sympoietischer Prozess in einer planetarischen Koexistenz verstanden wird. Vermittelt am Schwellenraum des Moores wird diese Beziehung erfahrbar gemacht.

Dies führt zu einer radikalen Refiguration von Zeit. Wenn klassische, industriell geprägte Taktungen wie Stunde, Minute und Sekunde für das Subjekt wieder obsolet werden, stellt sich die Frage:

Lässt sich eine eigene Zeitlichkeit entwickeln, die aus der subjektiven Erfahrung hervorgeht?  Kann ein Text, ein Raum ein anderes Zeitverständnis erzeugen – ein Denken, das nicht linearisierend, sondern zyklisch, eruptiv, latent ist? Ihre eigene Zeitlichkeit einfordern und gleichzeitig verkörpern.

Dieses Nachdenken über Zukunft ist ein vorläufiger Horizont. In dem Maße, in dem wir Zukünfte entwerfen, verwerfen, verschieben, dekodieren, entstehen neue Fragen, neue Horizonte, neue Möglichkeitsräume. Das Denken von Zukünften muss also selbst reflexiv bleiben: temporär, offen, verwoben – ein theoretischer Raum, der sich der Illusion entzieht, jemals abgeschlossen zu sein.

Die hier entworfenen Umgangsformen mit Zukünften sind daher nicht Visionen, sondern Werkzeuge. Sie verstehen sich nicht als Vorhersagen, sondern als Interventionen.

Seminar Relics of our Futures

sometime, somewhere 

Danke an alle Teilnehmenden und Besucher*innen

Speziellen Dank an Prof. Julia Grillmayr
( Kulturwissenschaftlerin an der Kunstuniversität Linz )
und Prof. Dr. Eva Wattolik
( Kunsttheorie und Kunstgeschichte FAU Erlangen ),
die das Seminar in Diskussionsformaten,
Impulsvorträgen und zwei Vorlesungen begleitet haben. 

Vielen Dank auch an Prof. Holger Felten!

Im Seminar wurden Exzerpte aus folgenden Texten gelesen: 

♥ Butler, Octavia E. Bloodchild. Seven Stories Press, 1996.
♥ Chiang, Ted. Story of Your Life. Stories of Your Life and Others, Picador, 2015.
♥ Daggett, Cara. Petro-masculinity: Fossil Fuels and Authoritarian Desire. Millennium: Journal of International Studies, vol. 47, no. 1, 2018, pp. 25–44.
♥ Deleuze, Gilles, and Félix Guattari. Rhizom. Merve Verlag, 1977. — Tausend Plateaus: Kapitalismus und Schizophrenie. Merve Verlag, 1992.
♥ Grillmayr, Julia, and Christine Hentschel. World without Humans, Humans without World: Apocalyptic Passions in the Anthropocene.”  Worlds Ending – Ending Worlds?, edited by Käte Hamburger Centre for Apocalyptic and Post-Apocalyptic Studies (CAPAS), De Gruyter, 2024.
♥ Haraway, Donna J. Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Duke University Press, 2016.
♥ Jameson, Fredric. The Seeds of Time. Columbia University Press, 1994.
♥ Le Guin, Ursula K. The Wind’s Twelve Quarters: Short Stories. Harper & Row, 1975.
♥ Lorde, Audre. The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House. Sister Outsider: Essays and Speeches, Crossing Press, 1984, pp. 110–114.
♥ Luhmann, Niklas. Die Zukunft kann nicht beginnen: Temporalstrukturen der modernen Gesellschaft. Suhrkamp, 1994.
♥ Tsing, Anna Lowenhaupt. The Mushroom at the End of the World: On the Possibility of Life in Capitalist Ruins.Princeton University Press, 2015.

KUNST TRANSFER PRAXIS 
workshop program 

15s Video loop
video & sound design 

2023

AdBK Nuremberg 
project archive 

15s loop
video & sound design 

2023

Exhibitions ( excerpt ) 

2024
Neues Museum Nürnberg
Edition Frisches Design 
group show 

2023/24
KW Institute for Contemporary Art Berlin
with Guoxin Tian
BPA Exhibition 2023
group show 

2022
Filmhauskino Nürnberg
Extraxts Screening
with Guoxin Tian
group show 

2021
OnOffSpace
with Achinoam Alon
Disembodied 
group show 

2020
Sitespecific / LAN
Webspace AdBK Nürnberg 
group show 

2019
Debütant*innen
with Katharina Kraus
AdBK Nürnberg
group show

2018
German Design Award
Cultural Identity
group show

2017
Graduate Show 
AdBK Nuremberg
group show

2016
CFA Berlin
You‘re just to good to be true
curated and organised by
Juergen Teller and Tal R.,
group show 

2015
Akademie Galerie
We‘ve got the Look
with Prof. Juergen Teller
group show 

Kunstverein Nürnberg 
Albrecht Dürer Gesellschaft
Figures of Conjunction
group show

2014
Aiurart Contemporary Art
Mooon with Iulia Nistor 
Bucharest
group show

Neues Museum Nürnberg
Curtain Call
group show

2013
Akademie Galerie
Error Camp
with Tomasz Skibicki 
group show

2012 & 2011
BEAST Kulturfestival
AEG Nürnberg 
group show

Awards & prizes

2024
Atelierförderung
Stadt Nürnberg

2021
Bayern Innovativ 
Projektförderung für Innovative
Projekte in Kunst & Design

2019
Debütant*innen prize
Bayerisches Ministrium für
Wissenschaft und Forschung 

2018
German Design Award
Cultural Identity 
AdBK Website

2015
Stipend Program
HfG Karlsruhe
Bayerisches Ministerium für
Wissenschaft und Forschung 

2012
Stipend Program
Studienstiftung des deutschen Volkes
Vollstipendium 

Production ( excerpt )

2016
Michael Stevenson
Kunsthal Charlottenborg
Denmark
Signs & Wonders

2014
Michael Stevenson
Liverpool Biennial
England
Strategic Level Spiritiual Warfare

Teaching ( excerpt ) 

2025 – 2024 
Self – Promotion 
Venture Team 
workshop 
AdBK Nürnberg, HfM Nürnberg,
AdBK München, TH Nürnberg

2023
Digitale Representationen VI
Kunst–Transfer–Praxis 
workshop 
AdBK Nürnberg

Digitale Representationen V
Kunst–Transfer–Praxis 
workshop 
AdBK / LEONARDO Zentrum

2022
UDK Berlin
Digitale Representationen ∏
workshop

2021
Digitale Representationen IV
Kunst–Transfer–Praxis
workshop 
AdBK Nürnberg

Bricks and Bytes
Class Michael Stevenson
workshop 
AdBK Nürnberg

2020 
Digitale Representationen III
Kunst–Transfer–Praxis
workshop  
AdBK Nürnberg

Sitespecific 
digital Exhibition Project 
& workshop  
AdBK Nürnberg 

2019
Digitale Representationen II
Kunst–Transfer–Praxis
workshop 
AdBK Nürnberg

How to class website
Class prof. Michael Stevenson
workshop 
AdBK Nürnberg
 
Color Mode–Pattern Test 
Class prof. Felten/Girst
workshop 
AdBK Nürnberg

2018
Digitale Representationen I
Kunst–Transfer–Praxis 
workshop 
AdBK Nürnberg

2017
Post Printing  
Class Felten/Girst
workshop 
AdBK Nürnberg

Tools for Artists and Designers
Class Felten/Girst
workshop 
AdBK Nürnberg

2014 
Photography Stories
Jugendamt Stadt Nürnberg
workshop 

KUNST TRANSFER PRAXIS 
workshop program 

15s Video loop
video & sound design 

2023

Frisches Design
communications

15s loops
video & sound design 

2024

Education ( excerpt )

2017–2010
Diploma Graphic Design
Akademie der Bildenden Künste Nürnberg 
Prof. Holger Felten & Friederike Girst

Photography
Prof. Juergen Teller

Sculpture
Prof. Michael Stevenson

2015
Photography & Product Design
HfG Karlsruhe

BLESS  & Prof. Armin Linke  

2011–2009
Magister of Arts 
( discontinued )
Art History & History

2016
CFA Berlin
You‘re just to good to be true
curated and organised by
Juergen Teller and Tal R.,
group show 

2015
Akademie Galerie
We‘ve got the Look
with Prof. Juergen Teller
group show 

Kunstverein Nürnberg 
Albrecht Dürer Gesellschaft
Figures of Conjunction
group show

2014
Aiurart Contemporary Art
Mooon with Iulia Nistor 
Bucharest
group show

Neues Museum Nürnberg
Curtain Call
group show

2013
Akademie Galerie
Error Camp
with Tomasz Skibicki 
group show

2012 & 2011
BEAST Kulturfestival
AEG Nürnberg 
group show

2019
Digitale Representationen II
Kunst–Transfer–Praxis
workshop 
AdBK Nürnberg

How to class website
Class prof. Michael Stevenson
workshop 
AdBK Nürnberg
 
Color Mode–Pattern Test 
Class prof. Felten/Girst
workshop 
AdBK Nürnberg

2018
Digitale Representationen I
Kunst–Transfer–Praxis 
workshop 
AdBK Nürnberg

2017
Post Printing  
Class Felten/Girst
workshop 
AdBK Nürnberg

Tools for Artists and Designers
Class Felten/Girst
workshop 
AdBK Nürnberg

2014 
Photography Stories
Jugendamt Stadt Nürnberg
workshop